Sie ist ein ewiger Traum der Menschheit: die Fliegerei! So mancher Wagemutige konnte sich diesen Traum auf dem Messelberg oberhalb von Donzdorf erfüllen, als die Fliegerei selbst noch in den Kinderschuhen steckte. Drei Senioren erinnern sich.
Alois Sauer kann sich noch genau an seinen ersten Flug erinnern. Weniger ein Flug als ein Sprung und dennoch leuchten dem Donzdorfer heute noch die Augen bei der Erinnerung an diese 30 Sekunden in der Luft: „Mit diesem Flug habe ich meine A-Prüfung, den ersten Alleinflug, bestanden. Davor bin ich schon etliche Male mit dem Schulgleiter gestartet, allerdings waren das nur Rutscher.“ Denn diese „Rutscher“ fanden allesamt auf dem kleinen Hügel am Westende des heutigen Fluggeländes Messelberg statt. Seinen ersten Alleinflug aber absolvierte der 85-Jährige auf dem Lindenfeld bei Bettringen – mehr ein Berg als ein Hügel und deshalb auch die längere Flugzeit. „Am Anfang durften wir den Schulgleiter nur auf halbe Höhe tragen, bis wir die Flugmanöver dann richtig beherrschten.“ Und auch wenn dies allesamt mehr als 70 Jahre zurückliegt, Alois Sauer kann sich detailgetreu an die Erlebnisse, die allesamt während der Zeit der Nationalsozialisten passierten, erinnern. „Mit zwölf Jahren habe ich mit dem Modellbau angefangen, mit 14 Jahren durfte ich dann mit dem richtigen Fliegen anfangen“, so der Donzdorfer. Zuvor hatten die Nationalsozialisten die bestehenden Fliegergruppen im Kreis Göppingen, sowie in ganz Deutschland enteignet – die selbstgebauten Flugzeuge wurden von nun an gezielt zur Nachwuchsförderung und Rekrutierung neuer Piloten für die Luftwaffe eingesetzt. Auch die damalige Flug- und Arbeitsgruppe Donzdorf musste somit ihren Betrieb einstellen.
So abenteuerlich diese ersten Flugerlebnisse für Alois Sauer waren, so klar war ihm auch die Intention, die dahinter steckte. „Wir waren rund 30 Jugendliche aus dem ganzen Kreis Göppingen, die am Messelberg und in Bettringen regelmäßig geflogen sind“, erinnert sich der 85-Jährige. Dahinter sei eine straffe Organisation gestanden, selbst die Jugendlichen aus Donzdorf durften während dieser Wochenenden nicht zu Hause bei den Eltern schlafen. „Wir schliefen alle gemeinsam im Gasthaus Bock in Donzdorf.“ Ebenso deutlich in Erinnerung wie der erste Alleinflug ist Alois Sauer auch noch die sogenannte B-Prüfung, die man erst mit etwas Flugerfahrung ablegen kann. „Während die Jahre zuvor immer mithilfe von Gummiseilen und Manneskraft gestartet wurde, konnten die Nationalsozialisten Startwinden einsetzen“, so der gelernte Dreher. Der Vorteil davon war, dass man durch mehr Starthöhe auch länger fliegen und dadurch auch den Kurvenflug besser üben konnte. Bis zur Reife zum Luftfahrschein konnte Alois Sauer seine fliegerische Ausbildung fortsetzen, dann kam das abrupte Ende. Krieg und Elend hatten weite Teile Europas bereits fest in der Hand, die Kriegsmaschinerie forderte ihren Tribut. „Den Schein durfte ich während der Kriegszeit nicht mehr machen. Ich war immer sehr klein und leicht und taugte der Luftwaffe somit nicht als Pilot.“ Mit 16 Jahren mussten Alois Sauer auf eine Ausbildung zum Bordfunker umschwenken. Im Jahr 1944, nur ein Jahr vor Kriegsende, wurde der Donzdorfer zum Arbeitsdienst und wenige Monate später als Fallschirmjäger zur Luftwaffe versetzt. Die Fliegerei hat Alois Sauer auch während des Zweiten Weltkrieges nicht losgelassen. Ebenso wenig wie die Geschehnisse, denen der damals noch Jugendliche ausgesetzt war. „Ich musste vieles mit ansehen, was mich heute noch zu Tränen bewegt“, erzählt der 85-Jährige und hält dabei inne. „Aber ebenso habe ich so viel Gutes von wildfremden Menschen erfahren.“ Denn schon während der Ardennen-Offensive kurz vor Weihnachten 1944 geriet der Donzdorfer in amerikanische Gefangenschaft, „und ich wurde immer sehr anständig behandelt.“ Jahre dauerte die Kriegsgefangenschaft in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien. Und genauso lange dauerte es auch, bis die Fliegerei in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sprichwörtlich wieder Boden unter den Füßen fand. Im Jahr 1951 war es dann auch in Donzdorf wieder so weit: Die Alliierten stimmten dem Antrag der Fliegergruppe Donzdorf zu, den Bau von Segelflugzeugen und den Flugbetrieb auf dem Messelberg wieder aufzunehmen. Mit dabei war natürlich auch Alois Sauer. „Wir mussten wieder von ganz vorne anfangen, es war nichts mehr vorhanden – weder Flugzeuge, noch ein Platz, an dem wir bauen konnten. Und am Geld mangelte es natürlich sowieso“, erinnert sich Alois Sauer.
Eine Situation, an die sich auch Kurt Frey nur allzu gut erinnern kann. Der heutige Donzdorfer begann im Jahr 1957 mit dem Fliegen – damals bei der Fliegergruppe Süßen. „Die Flugzeuge wurden wie überall selbst gebaut, wir kauften uns lediglich die Pläne. Nicht umsonst war es damals eine Flug- und Arbeitsgruppe“, betont der 78-Jährige. Diese Arbeitsbelastung neben Beruf und Familie nahm Kurt Frey aber gerne auf sich, denn auch für ihn begann der persönliche Traum vom Fliegen schon in frühester Kindheit: „Schon als kleiner Bub habe ich den Flugzeugen am Himmel zugeschaut, wie sie über das Tal geflogen sind. Dabei habe ich mir immer gedacht: Wenn du da drin sitzen könntest, das wäre was!“ Und als er sich den Traum endlich wahr machen konnte, steckte Deutschland mitten in der Nachkriegszeit, Ressourcen waren überall knapp. „Wir musste uns alles organisieren“, so der pensionierte Versicherungskaufmann. „Wir hatten damals noch keine eigene Fliegerwerkstatt in Süßen, sondern sind zum Bauen der Flugzeuge in einem Schuppen unterhalb der Bahnbrücke untergekommen.“ Um zu gewährleisten, dass gerade in der Winterzeit Lack und Leim der Eigenbauten auch richtig trockneten, wurden die zahlreichen Helfer tags wie nachts in Schichten zum Befeuern der kleinen Kohleöfen eingeteilt. Nur ein Beispiel dafür, wie rudimentär die Bedingungen damals waren. Und wie reagierte die Bevölkerung auf die „verrückten“ Flieger, die ihre Zeit entweder im Schuppen oder auf dem Messelberg verbrachten? Kurt Frey schmunzelt: „So manch’ einer wird schon den Kopf geschüttelt haben. Insgesamt haben wir aber von vielen Seiten Unterstützung bekommen. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass viele Leute positiv reagiert haben, weil wir wie ein Sinnbild dafür waren, dass es mit Deutschland wieder aufwärts geht, dass wir wieder jemand sind.“
Noch außergewöhnlicher als das Hobby an sich war aber die Tatsache, dass nicht nur Männer unter den Fliegern waren. Auch die Ehefrau von Kurt Frey trat gemeinsam mit ihrer Schwester den Fliegern bei. „Wir Frauen mussten uns den Zugang zu den Fliegern erst erkämpfen, man musste schon einiges von den Männern aushalten, bevor man selbst zum ersten Mal an den Steuerknüppel durfte“, erinnert sich Lore Frey schmunzelnd. Ebenso wie ihr Mann Kurt, der es trotz der familiären Bindung zu seiner Frau nicht lassen konnte, die Frauen regelmäßig auf die harte Probe zu stellen. „Es kam schon mal vor, dass eine der Damen beim Kramen in der Handtasche ein paar Küchenschaben vorgefunden hat“, erinnert sich der 78-Jährige lachend.
Sowohl Alois Sauer wie auch Kurt und Lore Frey sind der Fliegerei bis heute treu geblieben – und gehören inzwischen zu den Senioren. Dieser Gruppe innerhalb der Fliegergruppe Donzdorf gehören alle aktiven und nicht mehr fliegerisch tätigen Piloten ab dem 60. Lebensjahr an. Im Vordergrund stehen dabei gemeinsame Ausflüge, Erlebnisse von früher – und vor allem natürlich die Fliegerei!